Die deutschen Vergangenheitstempora waren schon immer Gegenstand der linguistischen Forschung. Der Forschungsschwerpunkt liegt jedoch traditionell auf dem Perfekt, während dem Präteritum bislang eher wenig Aufmerksamkeit zuteil wurde. Die vorliegende Arbeit versucht, dieses Ungleichgewicht zumindest ansatzweise auszugleichen.
Generell geht man davon aus, dass das deutsche Präteritum nur auf Ereignisse referieren kann, die in einem spezifischen Zeitabschnitt oder zu einem spezifischen Zeitpunkt in der Vergangenheit lokalisiert werden können, wie z. B. in der Aussage „Klaus Möwe saß im Jahr 2003 wegen Diebstahls im Gefängnis“. In dieser Arbeit wird diese Annahme infrage gestellt. Auf Grundlage einer Informantenbefragung wird gezeigt, dass das deutsche Präteritum auch dann als idiomatisch empfunden werden kann, wenn die temporalen Zusammenhänge eher eine Form des Perfekts verlangen müssten, wie in „Klaus Möwe saß schon mehrfach im Gefängnis, derzeit wegen Diebstahls“ – ein Kontext in dem die vergangenen Ereignisse an die Gegenwart geknüpft werden. Aus einer näheren Analyse der sprachlichen Daten geht hervor, dass die Akzeptanz des Präteritums mit einer „perfektischen“ Interpretation insbesondere von der Aktionsart der
Verbphrase abhängt: Das Präteritum wird fast immer genau dann als idiomatisch empfunden, wenn die Verbphrase einen Zustand ausdrückt.